Haushaltsrede des SPD Fraktionsvorsitzenden Cornelius Böttcher vom 21.11.2011

Am 20. Februar 1995 gab es in den HH-Reden aller Fraktionen einen Begriff, der den Rednern noch nicht so recht über die Lippen gehen wollte, weil er bis dahin in der kommunalpolitischen Diskussion keine Bedeutung hatte: „Haushaltssicherungskonzept“.

Meine damals 1. HH-Rede als „frisch gebackener“ Fraktionsvorsitzender schloss mit dem Satz: „Wir sind der Rat, der erstmals ein Haushaltssicherungskonzept beschließt, wünschen wir uns, dass wir nicht der Rat der Haushaltssicherungskonzepte werden“.

Ein Wunsch, das wissen wir heute, der nicht in Erfüllung gegangen ist.

Aus damaliger Sicht war unsere Hoffnung, unsere schlechte HH-Situation sei der Beginn einer vorübergehenden Durststrecke, die es nur zu überstehen galt, berechtigt.

In den 17 Jahren bis heute haben wir uns eines Schlechteren belehren lassen müssen. Wir haben neue Begriffe kennen gelernt. Aus der „Durststreckentheorie“ wurde die „Spagattheorie“. Wir wollten den Spagat zwischen dem notwendigen Sparen und dem Erhalt der Lebensqualität in unserer Stadt hinkriegen. Das ist uns bis heute recht gut gelungen. Aber wir konnten nicht abwenden, dass im Jahre 2002 unser Haushaltssicherungskonzept den Begriffszusatz „nicht genehmigungsfähig“ erhielt. Seitdem wissen wir auch, dass der § 81 der GO mit dem so wenig spektakulären, harmlosen Hinweis auf die „vorläufige HH-Führung“ für uns seit 2002 „Nothaushalt“ bedeutet, mit allen Konsequenzen. Die Formulierung „strukturelle Unterdeckung“ ist uns geläufig geworden, in Werdohl wurde sie chronisch.

Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, uns in einer „Abwärtsspirale“ zu befinden, in einer „Vergeblichkeitsfalle“, aus der wir uns aus eigener Kraft nicht befreien können.

Das Erschreckende für uns an diesem Prozess war und ist seine Dynamik.

Wir erkannten das Dilemma, waren aber handlungsunfähig. Wir haben es kommuniziert, nach außen, in die Bürgerschaft, auf die übergeordneten politischen Ebenen. Sind wir überhaupt ernst genommen worden, frage ich mich heute? Hat die „große“ Politik das in den letzten Jahren überhaupt mitgekriegt? Die Regierung Rüttgers jedenfalls hat unsere Rufe geflissentlich überhört und stattdessen weiter auf Kosten der Kommunen gespart und damit die finanzielle Krise verstärkt. Und heute, nach 20 Jahren des Sparens stehen wir vor einer von Haushaltssicherung und Nothaushalt völlig ausgequetschten Stadtkasse.

Heute halte ich meine letzte HH-Rede, wir alle verabschieden den letzten HH vor der Überschuldung im Jahr 2013.

Und wieder wird in den kommunalpolitischen Alltag ein neuer Begriff eingeführt: „Stärkungspakt Stadtfinanzen“.

Es bedurfte erst einer neuen, rot-grünen Landesregierung, damit sich ein Problembewusstsein für die Nöte der Städte und Gemeinden entwickelte. Inzwischen sind konkrete Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation eingeleitet.

Auch der Bund hat mittlerweile hinsichtlich der Grundsicherung reagiert und wird Städte und Gemeinden zunächst schrittweise und ab 2014 vollständig von der Grundsicherung im Alter entlasten. Uns bleiben aber immer noch hohe Kosten für die Grundsicherung für Personen mit Erwerbsminderung, für die Hilfen zur Erziehung, die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen und für Unterkunft. Dass die sozialen Kosten weiter steigen werden, ist definitiv. Sie stellen einen enormen Sprengsatz für die kommunalen Kassen dar. Bleiben die Kommunen ohne weitergehende Hilfen aus Berlin, werden sie von diesen Soziallasten erdrückt werden.

Der Stärkungspakt Stadtfinanzen soll nun helfen, überschuldete oder von Überschuldung bedrohte Gemeinden in einem gewissen Zeitraum, zum HH-Ausgleich zu führen.

Er beinhaltet finanzielle Zuwendungen und beratende Begleitung bei einer von Rat und Verwaltung gemeinsam zu erarbeitenden Strategie, wie das Ziel Haushaltsausgleich erreicht werden soll.

CDU und WBG haben durch ihre Anträge im HA schon deutlich gemacht, dass sie den Beitritt zu diesem Stärkungspakt so schnell wie möglich wünschen, wie auch wir unsere Bereitschaft im Vorfeld schon signalisiert haben.

Das ist konsequent, haben wir alle doch in den letzten Jahren in unseren HH-Reden immer wieder eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass wir nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft, trotz vielfältiger Bemühungen, den HH-Ausgleich zu erreichen.

Doch, wie jeder Pakt, hat auch dieser eine Kehrseite. Wir müssen im Gegenzug für die Finanzhilfe Auflagen des Landes erfüllen.

Ich fürchte, und diese Furcht habe ich auch Ihren Anträgen entnommen, diese Auflagen werden eine andere Qualität haben, als unsere bisherigen Sparmaßnahmen. Wir werden die härtesten Bandagen anlegen müssen, um den Haushaltsausgleich nach 10 Jahren schaffen zu können, in den ersten 5 Jahren mit der Finanzhilfe des Landes, danach aus eigener Kraft.

Die dazu notwendigen Schritte könnten eine Bedrohung für unsere eigenständige örtliche Daseinsvorsorge bedeuten.

Was ist die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung von Städten und Gemeinden jedoch wert, wenn die originären Gestaltungsmöglichkeiten einer Kommune nicht mehr gegeben sind? Was ist die Selbstverwaltung von Städten und Gemeinden wert, wenn notwendige Aufgaben nur noch bedingt erfüllt werden, dringend erforderliche Maßnahmen nicht mehr durchgeführt werden können? Wir laufen Gefahr, unverzichtbare Strukturen in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur auf Dauer zu zerschlagen. Das haben wir bisher bewusst und mit Erfolg vermieden. Der Stärkungspakt ändert an der strukturellen Unterfinanzierung auch unserer kommenden HH überhaupt nichts.

Eigentlich brauchen die Kommunen wieder einen anderen Stellenwert. Es muss erkannt werden, dass das Gemeindefinanzierungssystem marode ist. Es ist nicht nur pleite, es zerstört uns. Die politischen Kräfte auf den Gesetzgebungsebenen müssen unsere Zukunftsfrage grundsätzlich klären.

Was bleibt zu tun?

1. Die Teilnahme am Stärkungspakt scheint trotz aller grundsätzlichen Bedenken „alternativlos“. Aber vielleicht sollten wir nicht zu schnell auf den Zug aufspringen. Wir haben noch etwas Zeit, es läuft uns nichts weg. Nutzen wir diese Zeit, noch einmal interfraktionell mit der Verwaltung gründlich und offen über die Konsequenzen miteinander zu diskutieren und uns mehr Klarheit zu verschaffen. Das haben wir bisher vielleicht noch nicht genügend getan.

2. Zur Vorbereitung auf eine Teilnahme am Stärkungspakt Stadtfinanzen haben wir eine umfassende Aufgabenkritik vorgeschlagen. Hier müssen noch einmal (nach 1996) alle städt. Leistungen auf den Prüfstand. Beginnen wir zügig damit.

3. Durch Rückkoppelung mit unseren Vertretern auf Bundes- und Landesebene sollten wir gemeinsam verstärkt darauf hinweisen, dass die angeblich auf Bundesebene eingetretenen und zu erwartenden Steuereinnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe, nirgends bessere Verwendung finden würden, als in den Kommunen. Hier könnten sie mit Blick auf wachsende Kinderarmut und die Notwendigkeit allen Kindern Chancen zu eröffnen, den größten Segen stiften, was die geplanten Steuergeschenke nicht vermöchten.

Trotz der tief greifenden Sorge um die städt. Finanzen sind in Werdohl die Weichen auf Zukunft gestellt. Wir alle haben bei mehreren Gelegenheiten den Blick auf die erfreulichen Entwicklungen in unserer Stadt gelenkt.

Es sind dies die investiven Entscheidungen unserer heimischen Unternehmen für Werdohl als Industriestandort, das stetig wachsende Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger und die bekannten Projekte aus dem Stadtumbau West und der Regionale 2013.

Wir alle wissen um die Bedeutung dieser Vorhaben für Werdohl.

Aber, wir sollten uns nicht blenden lassen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, mit den Werdohler Finanzen könne es doch so schlecht nicht bestellt sein. Um dem vorzubeugen, stellen wir nüchtern fest: Nicht etwa die gestiegene Finanzkraft Werdohls, sondern das Konjunkturpaket II, das Programm Stadtumbau West, die Aktivitäten der WOGE, die ausgeprägte Spendenbereitschaft der Werdohler Unternehmen, ohne die z.B. der Bahnhof nicht in städt. Besitz wäre und die vielschichtigen ehrenamtlichen Aktivitäten in den unterschiedlichsten Organisationsformen sind für diese erfreuliche Entwicklung verantwortlich.

All diese Aktivitäten müssten in der Summe ein positives Image für Werdohl bedeuten. Ein Blick auf unsere Einwohnerbilanz lässt jedoch Zweifel daran aufkommen. Müssen wir doch Abwanderungsverluste an Nachbarstädte feststellen, die sich stärker wohnungs- als arbeitsplatzbezogen darstellen.

Offenbar wird der Wert Werdohls als Wohnstadt noch nicht hinreichend anerkannt.

Dabei haben wir doch jetzt schon viel zu bieten, was sich angesichts der zahlreichen geplanten Projekte zukünftig noch erheblich steigern wird:

 

–       Attraktive Wohnangebote für ein angemessenes Leben im Alter in Ütterlingsen und Pungelscheid und wahrscheinlich schon bald auf der            Königsburg.

–       Einen um den Colsmanplatz herum neu gestalteten Innenstadtbereich mit weiteren Ausbauplänen für den Brüninghausplatz.

–       Zahlreiche Kulturangebote durch den Kulturverein, das kleine Kulturforum, eine kleine sehr engagierte Künstlergruppe und die Stadt (Kulturring, Kultursommer).

–       Interessante Freizeitangebote durch Vereine, städt. Einrichtungen und entlang der Lenne.

–       Ein friedliches Neben- und Miteinander aller Werdohler. Um hier weitere Fortschritte zu erzielen, sollten Sie heute dem SPD-Antrag aus dem HA folgen und sich mit uns dafür einsetzen, dass das vom Land im MK geplante „Kommunale Integrationszentrum“ in Werdohl angesiedelt wird.

–       Eine sehr gute verkehrliche Infrastruktur durch Bus und Bahn und eine gute Anbindung zur Autobahn.

–       Ein breites Spektrum an Einkaufsmöglichkeiten über die Deckung des Grundbedarfs hinaus. Einen Markt mit Strahlkraft in die Nachbarstädte. Kostenlose Parkmöglichkeiten, die auch unsere Nachbarn zu schätzen wissen.

–       Zahlreiche Aktivitäten um den Tagestourismus, die zum Erfolg führen werden und der Stadt eine höhere Beachtung bringen. Darauf sollten wir uns einstellen.

–       Unsere Kinder- und Jugendbetreuungsangebote in den Kita`s und den Stadtteiljugendheimen (auch in den Ferien) können sich sehen lassen. Wir sind dabei, die U3 Betreuung gemäß unserer gesetzlichen Verpflichtung auszubauen. Mit der roten Schule haben wir einen stadtzentralen, bedarfsgerechten Standort gewählt. Das wird ein millionenschwerer Kraftakt, der zum Erhalt der Familienfreundlichkeit Werdohls jedoch erforderlich ist. Dazu beitragen wird auch das kürzlich im Jugendhilfeausschuss verabschiedete Spiel- und Bolzplatzkonzept der Verwaltung. Es wird für mehr Qualität und damit mehr Attraktivität sorgen. Mit dem Spielplatz Meilerstraße wollen wir beginnen.

–       Unser schulisches Angebot ist differenziert, hat Qualität und ermöglicht alle Schulabschlüsse der Sekundarstufe I und das Abitur an der Gesamtschule. Dafür haben wir vor 21 Jahren gemeinsam mit der FDP gesorgt.

Seitdem haben viele Altenaer, Neuenrader und Plettenberger an der AEG ihr Abitur gemacht. Das ist auch weiterhin möglich.

Bei der notwendigen Anpassung unserer Schullandschaft an die neuen Verhältnisse bei unseren Nachbarn und die demographische Entwicklung sollten wir jetzt nicht übereilt sondern mit Augenmaß handeln. Deshalb haben wir im Schulausschuss eine Bildungskonferenz vorgeschlagen, die nach dem Abschluss der Anmeldungen im Februar stattfinden soll.

Meine  Damen und Herren, ich weiß mich mit Ihnen einig, wenn ich es noch einmal sage: Werdohl hat viel zu bieten. Leider wissen es noch nicht alle. Darum müssen wir es immer wieder laut sagen. Vielen Dank an alle, die mithelfen, diese Überzeugung zu leben und weiter zutragen.

Vielen Dank auch an die Verwaltung für ihre freundliche Assistenz bei unseren HH-Beratungen.

Bei Ihnen meine Damen und Herren bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit, die Sie mir in den vergangenen Jahren bei meinen HH-Reden geschenkt haben.