Haushaltsrede 2010

des SPD Fraktionsvorsitzenden Cornelius Böttcher

Es gilt das gesprochene Wort.

Sperrfrist: 22. 03. 2010; 17.00 Uhr

Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren.
Sie haben es sicher auch gelesen, Werdohl stand in der Zeitung, auf der Titelseite.
„62 Kommunen vor dem Kollaps“. Wir sind namentlich nicht erwähnt. Aber wir sind dabei. Mittendrin in der Spitzengruppe!
Wir sind Teilnehmer eines paradoxen Rennens, bei dem jeder Letzter und keiner Erster werden will. Denn auf den vorderen Plätzen fahren die Verlierer.
Der Start erfolgte 1980 weitgehend unbemerkt. Bis dahin ging es Werdohl gut.
Als konzerngeprägte Stadt mit tausenden von Arbeitsplätzen und überdurchschnittlichem Lohnniveau, war die damalige Lohnsummensteuer eine ergiebig sprudelnde Einnahmequelle.
Ihr Wegfall 1980 machte erstmals eher lästige und wenig aufregende Sparmaßnahmen nötig, was jedoch immer zu einem ausgeglichenen Haushalt führte.
Mit dem ersten Haushaltssicherungskonzept 1995 nahm das Rennen jedoch Fahrt auf. Von einer Durststrecke war die Rede, die es nur durchzuhalten galt.
Das Bild einer sich immer weiter öffnenden Schere zwischen wegbrechenden Einnahmen bei steigenden Ausgaben sollte die Lage veranschaulichen.
In guten Zeiten auf die hohe Kante gelegtes städtisches Tafelsilber wurde veräußert und Sparrunden gefahren, um die Ausgaben zu vermindern.
Sieben Jahre war diese Strategie erfolgreich. Sie endeten mit der bitteren Erkenntnis, dass es sich bei unserer Finanzmisere nicht um eine Durststrecke, sondern um eine Daueraufgabe handelte.
Ohne weiteres Tafelsilber war das Abgleiten in den Nothaushalt 2002 unvermeidlich. Heute ist unbestritten, Werdohl kann sich, wie zunehmend mehr Städte und Gemeinden im Lande, ohne Hilfe aus seiner katastrophalen Finanzlage nicht befreien.
Selbst im Jahre 2007, das war das Jahr mit einer überragenden Gewerbesteuer-einnahme von 17,4 Mill. €, konnten wir dem Nothaushalt nicht entfliehen.
Wer aber schon im Boom keine Rücklagen bilden kann, wie soll der eine Rezession überleben?
Der Spruch von Mark Twain – „Von jetzt an werde ich nur soviel ausgeben wie ich einnehme, selbst wenn ich mir dafür Geld borgen muss“, wurde notgedrungen zum Leitsatz für unseren (Not)Kämmerer.
Es dauert nicht mehr lange, dann werden die Kassenkredite von jetzt 27 Mill. € über unseren jährlichen Einnahmen liegen. Das ist dann so m.D.u.H., als würden Sie Ihr Girokonto um ein Jahresgehalt überziehen.
Wir spüren es ganz deutlich, wie wir, nach langer Fahrt, in einem atemberaubenden Tempo mit einer beängstigenden Beschleunigung auf eine Wand zu rasen, ohne die geringste Möglichkeit, den Crash zu verhindern. Und dieser Crash ist gesetzlich verordnet, denn Bund und Land entscheiden per Gesetz über die Aufgaben der Kommunen und deren Wahrnehmung. Bei der Abschätzung der Folgekosten verschätzen sie sich jedoch immer zu ihren Gunsten und zu unseren Lasten.

Und deshalb hat unser Landrat Recht, wenn er deutlich macht, dass nicht Politik und Verwaltung vor Ort, sondern die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen durch Bund und Land für die kommunale Krise verantwortlich sind.
Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie sich Bund und Land scheibchenweise aus der Verantwortung gestohlen haben. Das fängt bei einer nicht bedarfsgerechten Feuerwehrpauschale an, zeigt sich an einer Verdoppelung der kommunalen Beteiligung an der Krankenhausfinanzierung, wurde vor Ort erkennbar bei der Diskussion über die Höhe der Kindergartenbeiträge, der ungenügenden Landesbeteiligung bei KIBIZ, und den nicht ausreichend gelösten Finanzierungsfragen sozialpolitischer Versprechen, wie z.B. die Kinderbetreuung von unter Dreijährigen. Besonders gravierend sind die erdrückenden Lasten für den Kreis bei den Kosten aus Hartz IV und für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, bei einer völlig inakzeptablen finanziellen Beteiligung des Bundes. Diese Belastungen wachsen dramatisch und belasten unseren Haushalt über eine unaufhaltsam steigende Kreisumlage. Dies führt unweigerlich zur Handlungsunfähigkeit und tötet die kommunale Selbstverwaltung. Das ist verfassungswidrig.
Umso erfreulicher ist es, dass der Schulterschluss aller Bürgermeister des MK nun gelungen ist und endlich auch der Protest innerhalb des Kreises nach außen tritt. Eine Verfassungsklage ist in Vorbereitung.

Wir können wenig tun und müssen weiter auf Hilfe hoffen. Aber es gibt auch positive Signale im Land:

Das SPD-Präsidium hat einen Rettungsschirm für Kommunen beschlossen und in den Bundestag eingebracht.
Die Landes-SPD hat dem Landtag einen „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ vorgeschlagen.
Beim Solidarpakt Ost wächst die Zahl der Befürworter für das von Hannelore Kraft schon lange geforderte Prinzip „Bedürftigkeit vor Himmelsrichtung.
Auch CDU – Fraktionen im Ruhrgebiet schlagen Alarm. Sie fordern ein „Sofortprogramm gegen die drohende Überschuldung und die Ausklammerung von strukturschwachen Städten von den Zahlungen für den Fonds Deutsche Einheit.“ (WR 11.03.10)

Welche bescheidenen kommunalpolitischen Möglichkeiten bleiben uns?

Lassen sie uns den Spaghat zwischen dem notwendigen Sparen und dem Erhalt der Lebensqualität für unsere Bürger und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Stadt auch weiterhin versuchen.
Bei der Kritik an der Höhe der Kreisumlage sollten wir uns nicht auf die alljährlichen Protestaktionen unserer Bürgermeister beschränken, sondern die Investitions- und Ausgabepraxis des Kreises ganzjährig mit im Blick haben.

Möglichkeiten von Personaleinsparungen sollten wir wahrnehmen, wo sie sich sozialverträglich anbieten.
Nachdem sich die Verwaltung in der letzten Legislatur, bürgermeisterlich verordnet, in mehreren teuren Umorganisationen vorwiegend mit sich selbst beschäftigt hat, haben Sie, Herr BM, uns ein zukunftsgerichtetes Personalkonzept vorgelegt. Es zeigt Handlungsmöglichkeiten und Spielräume auf und weist auf Einsparpotenziale hin.
Es ist wohltuend und vernünftig, dass Sie Ihre unbestrittene Personalhoheit nicht gegen, sondern mit dem Rat und mit den Rathausbediensteten ausüben wollen.

In Ihrer HH-Rede, vor allem aber in Ihrer Rede beim SIHK – Gespräch, haben Sie auf die großen sozialen, strukturellen und demographischen Herausforderungen für Werdohl hingewiesen.
Sie zu bewältigen, bedarf es zahlreicher Aktivitäten. Sie setzen auf Kooperationen mit Nachbarstädten und haben sich bereits auf den Weg gemacht.
Sie halten es für wichtig, innerörtliche Prozesse, z.B. im Bereich Marketing oder verwaltungsinterne Organisationsprozesse, auch motiviert durch den sogen. „Fall Düsternsiepen“, zu optimieren und haben damit begonnen.
Sie haben die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf Ihre Fahne geschrieben und Sie sehen die Wirtschaftsförderung als eine städtische Daueraufgabe und wollen sie intensivieren.
Im Augenblick habe ich eher den Eindruck, die Wirtschaft fördert uns.
Wie stünde es sonst um die Jugendarbeit der Vereine, unsere Kinderspielplätze, Aktionen von Kindergärten und Schulen, den Bahnhof, die geplante Treppe von der Vossloh – Brücke auf die Lennepromenade?
Diese umfängliche Stadtförderung der Wirtschaft zeigt im Kleinen wie im Großen Verbundenheit und Identifikation mit Werdohl und das Interesse an einer gemeinsamen, partnerschaftlichen Verantwortung für die örtliche Gemeinschaft.
Des Weiteren wollen Sie den demographischen Wandel mit seinen konkreten Auswirkungen auf die verschiedensten Lebensbereiche in Werdohl stärker in den Blick nehmen. Wir empfehlen die „Wiederbelebung“ des bereits bestehenden Arbeitskreises.
Wir müssen die Integration weiter vorantreiben und bauen auf den neuen Integrationsausschuss.
Sie haben das Thema Bildung in seiner wachsenden Bedeutung herausgestellt und auf die Wichtigkeit von Sprachkursen an den KITAS und für Erwachsene an der VHS hingewiesen. Es scheint Ihnen zu gelingen, endlich die offene Ganztagsschule in Werdohl einzuführen.
Sie haben auch gesagt, Sie wollen alles auf den Prüfstand stellen. Auch wir halten es für unerlässlich, selbstkritisch zu hinterfragen, ob wir mit den Leistungen, die wir anbieten, tatsächlich die angestrebten Ziele erreichen und worauf wir verzichten können oder gar verzichten müssen.
Unverzichtbar dabei ist eine transparente und ehrlich geführte Bestandsaufnahme. Nur wenn unseren Bürgerinnen und Bürgern die tatsächliche Lage bekannt ist, können wir von ihnen auch für unpopuläre Entscheidungen Verständnis und Unterstützung erwarten.

Sie haben sich auch als Mensch mit einem ausgeprägten Hang zum Optimismus zu erkennen gegeben.
Den können wir aktuell z.B. beim Warten auf die Bewilligung von Fördermitteln für das Programm „Stadtumbau West“ alle gut gebrauchen. Denn davon hängt viel für die Weiterentwicklung Werdohls ab. Wir könnten einen großen Schritt nach vorn machen. Bleiben wir also zuversichtlich.

Das sind auch nach unserer Auffassung die kommunalen Schwerpunkte der kommenden Jahre. An ihnen müssen wir intensiv gemeinsam arbeiten. Dabei werden Sie uns an Ihrer Seite haben. Auf diesem Weg unterstützen wir Sie gerne.

Ihr Start ins BM – Amt verlief turbulent. Das ist uns nicht verborgen geblieben. Sie hatten keine Schonfrist, sondern mussten von Anfang an auf zahlreichen Baustellen gleichzeitig tätig werden. Es hat sich teilweise jetzt schon gelohnt. In Ihrem Hause jedenfalls geht es spürbar entspannter zu. Das ist Ihr Verdienst.

Nun liegt überflüssigerweise, gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit, ein Thema auf dem Tisch, über das in den letzten 20 Jahren immer mal wieder unter wechselnden Vorzeichen intensiv gestritten wurde. Und wenn Sie es nicht schon gewusst haben, spüren Sie spätestens jetzt: Beim Thema Schule, und gar noch Bekenntnisgrundschule, betritt man in Werdohl vermintes Gelände.

Wenn man es ganz nüchtern betrachtet, ist dieses Thema ein echter Prüfstein für den konkreten Umgang mit den o.g. politischen Schwerpunkten, treffen sie doch hier direkt aufeinander.
Welchen Stellenwert hat Integration oder will man eigentlich Segregation? An wen wird bei Bildung gedacht? An die Elite oder die sozial Benachteiligten? Wie transparent und ehrlich wird eigentlich argumentiert? Wie verlässlich sind unsere Entscheidungen für die Wirtschaft? (Woge) Wie ernst ist Sparsamkeit gemeint? Wird der demographische Wandel berücksichtigt? Wie wichtig ist bürgerschaftliches Engagement? Stehen Einzelinteressen vor dem Gemeinwohl?

Sie bemühen sich in dieser Gemengelage erkennbar um Neutralität und größte Sachlichkeit. So bleiben Sie mit allen Seiten im Gespräch, was keine leichte Aufgabe ist.

Möge sich die positive Zusammenarbeit während unserer Haushaltsberatungen mit Ihnen, den Herren Grabs, Mitschke, Schmidt und Reuthe auf die gesamte Verwaltung und den Rat zum Wohle unserer Stadt auswirken.

Cornelius Böttcher