Haushaltsrede 2011 des SPD-Fraktionsvorsitzenden Cornelius Böttcher

Wer am Jahresempfang selbst nicht teilnehmen konnte, musste am Montag beim Studium seiner Tageszeitung den Eindruck gewinnen, etwas Besonderes verpasst zu haben. Keine Spur davon, dass hier in großer Zahl zutiefst bedrückte Bürger einer Stadt im Nothaushalt zusammengekommen sind. Ganz im Gegenteil!

Eine sehr lockere, unbekümmert fröhliche Grundstimmung wurde umrahmt von einem ansprechenden Begleitprogramm und einem BM, der gelassenes Selbstbewusstsein und Optimismus ausstrahlte. An vielen Details wurde erfahrbar, wie breit gestreut und stark ausgeprägt die Identifikation der Werdohlerinnen und Werdohler mit ihrer Stadt ist. Von dieser Stimmung getragen, war die Rede des BM von Zuversicht und dem unerschütterlichen Glauben an die Zukunftsfähigkeit Werdohls gekennzeichnet. Am nächsten Tag war in der Presse von „Aufbruchstimmung“ die Rede.

In der Tat, Werdohl kann für das abgelaufene Jahr eine positive Bilanz aufweisen. Und es ist zutreffend, es gibt viel Erfreuliches, was uns Chancen zu einer positiven Weiterentwicklung eröffnet. Mussten wir bei der alten Landesregierung noch fürchten, beim Förderprogramm Stadtumbau West nicht zum Zuge zu kommen, hat Werdohl nun den Fuß in der Tür. 1,4 Mill. € Förderung sind bewilligt. Der Bahnhof ist gerettet. Für uns ist dies die erfreulichste Meldung des letzten Jahres. Unser besonderer Einsatz für seinen Erhalt war nicht vergebens. Manchmal ist Erfolg dem Zufall gedankt, meistens jedoch ist er das Ergebnis von zielstrebiger Arbeit, nie haben Bedenkenträger für ihn gesorgt, immer hat er am Ende jedoch viele Väter. Für den Stadtumbau West haben Frauen und Männer aus der Verwaltung, der Politik und der Wirtschaft, aus Verbänden und dem öffentlichen Leben Werdohls in zahlreichen Sitzungen gemeinsam ein Stadtentwicklungskonzept erarbeitet, dessen Qualität und Angemessenheit das Ministerium und die Bezirksregierung überzeugen konnte. Wenn alle politischen Kräfte mit dem gleichen Augenmaß agieren, wie bisher, sind wir sehr zuversichtlich, dass es Ihnen Herr Griebsch gelingt, die noch in Aussicht gestellten 2,8 Mill. € Fördergelder für weitere Maßnahmen ebenfalls zu erhalten.

Davon würde durch geplante wohnungswirtschaftliche Maßnahmen zum einen der Ortsteil Ütterlingsen profitieren. Zum anderen könnte die Innenstadt durch eine Neugestaltung des Brüninghausplatzes nach „LIDL“ und „Freiheitsstr. 1“ weiter aufgewertet werden. Wie weit die geplante Verbesserung der Aufenthaltsqualität an der Lenne und ihre bessere Anbindung an die innerstädt. Infrastruktur gehen könnten, hat die Vorstellung des Projektes Lenneschiene der Regionale 2013 im USTEA gezeigt. Visionen, die die Stadtentwicklung in Werdohl beflügeln werden. Ein Teil dieser Visionen hat schon Eingang in das kommunalpolitische Alltagsgeschäft gefunden. Die Entwicklung der Lenneroute durch Werdohl mit dem Ziel der touristischen Erschließung der Lenneschiene. Es hat hierzu in der Vergangenheit Anträge der SPD gegeben, noch nicht alle sind umgesetzt. Die Bedeutung dieses überregionalen Radweges durch Werdohl wird vielfach noch unterschätzt. So interpretieren wir auch die Stimmenthaltung der WBG im USTEA. Mit der Verknüpfung von völlig unterschiedlichen Sachverhalten, wie dem Einsatz von Fördermitteln zum Bau der Lenneroute mit einer fehlenden Fußgängerampel am Kettling oder dem Erhalt des Bahnhofs mit Schlaglöchern auf Werdohler Straßen mag man die Lufthoheit über Stammtischen erobern können, als kommunalpolitische Entscheidungskriterien taugen sie nicht. Aber von Stadtentwicklung allein können wir nicht existieren. Sie muss einhergehen mit wirtschaftlichen Entwicklungen, gerade in einer Stadt, die in der Vergangenheit Jahr für Jahr durch neue Hiobsbotschaften über Firmenschließungen oder -abwanderungen und damit dem Verlust von Arbeitsplätzen erschüttert worden ist. Hoffen wir gemeinsam, dass die Schließung von TKB die letzte Konzernentscheidung dieser Art in Werdohl war. Die Botschaften über schließende, abwandernde oder in Insolvenz geratene Betriebe gehören z. Zt. offenbar der Vergangenheit an.

Der allgemeine Wirtschaftsaufschwung scheint in Werdohl angekommen zu sein. Die erheblichen Investitionen von Vossloh, Georg Fischer und VDM in ihre Werdohler Betriebe sind klare Bekenntnisse zum Standort Werdohl. In der Phase der finanziellen Krise der Stadt unterstützen Werdohler Unternehmen ihre Standortgemeinde mit einer bemerkenswerten Intensität. Wir sind sicher Herr BM, dass Sie auch zur Gründung einer Stiftung „Ahe-Hammer“ auf Unterstützungsbereitschaft treffen werden. Es dürfte unbestritten sein, dass der Ahe-Hammer als Wiege von Brüninghaus sowohl einen unmittelbaren historischen Bezug, als auch eine starke emotionale Verbundenheit zu Werdohl hat, auch wenn er nicht auf Werdohler Stadtgebiet liegt. Dieser Bezug wird äußerlich erkennbar an der Namensgebung „Brüninghausplatz“ im Herzen Werdohls. Lebende Beispiele für die Verbundenheit sind Männer wie Alfred Hinsching und Matthias Neuhaus. Daran kommt TK bei ihrer Entscheidung, an wen sie den Ahe-Hammer übergibt, nicht so einfach herum. Die Zukunft und Standorttreue unserer Unternehmen wird abhängig sein von der Verfügbarkeit von Fachkräften. Als ich Arnold Menshen einmal gefragt habe, was er für den wichtigsten Standortfaktor für ein Unternehmen hält, hat er mir, ohne nachdenken zu müssen, spontan geantwortet: „Gute Leute!“ Fachkräfte also! Dem Fachkräftemangel vor Ort kann man als Kommune gezielt und wirkungsvoll durch das Bereitstellen von attraktiven Bildungseinrichtungen entgegenwirken. Dafür haben SPD und FDP schon vor 21 Jahren mit der Ergänzung der Werdohler Bildungslandschaft durch eine Gesamtschule gesorgt. Viele Werdohler haben seitdem die Möglichkeit genutzt, auch in Werdohl auf direktem Weg das Abitur zu machen. SPD und FDP haben durch den Erwerb des „Köstersberg“ darüber hinaus angemessene räumliche Bedingungen für unsere Grundschulen und die Realschule geschaffen. Auch die Musikschule und die VHS konnten davon profitieren. Die Hauptschule wurde für den Ganztag ausgebaut. In diesem Schuljahr haben sich unsere Wünsche nach einer OGGS gleich dreifach erfüllt. Es gibt bereits Wartelisten. Wir haben mit unseren Entscheidungen für eine zukunftsfähige Schullandschaft gesorgt. Sehr geehrter Herr BM, dies alles gibt Anlass genug für den von Ihnen gezeigten notwendigen und berechtigten Optimismus. Ohne einer gewünschten Aufbruchstimmung entgegenwirken zu wollen, kann eine HH-Rede nicht darauf verzichten, auch auf Risiken und bedenkliche Entwicklungen hinzuweisen. Der demographische Wandel, der nicht über uns hereingebrochen ist, sondern uns seit einigen Jahren mit zunehmender Intensität begleitet, stellt uns im schulischen Bereich vor neue Herausforderungen. Nach Schließung der kirchlichen Kindergärten in Ütterlingsen, in der Stadtmitte und auf der Königsburg folgte die Schließung der GGS Ütterlingsen. Auch der Verbund zwischen der GS Königsburg und Kleinhammer ist dem Rückgang der Schülerzahlen geschuldet.

Der demographische Wandel ist auch im SEK-I Bereich längst angekommen. Kontroverse schulpolitische Auseinandersetzungen sind zu erwarten. Die erste schulpolitische Fehlentscheidung der neuen satten Mehrheit, wie Herr Ohrmann die CDU/WBG-Allianz manchmal nennt, ist bereits erfolgt. Der Boykott der beabsichtigten Kooperation der Oberstufe der AEG mit der neu gegründeten Neuenrader Gemeinschafts-schule hat nicht dem Wohle Werdohls gedient. Das war Kirchturmsdenken reinsten Wassers und hatte mit der in Sonntagsreden so hoch gepriesenen interkommunalen Zusammenarbeit nichts zu tun. Es kann nicht im gesamtstädtischen Interesse liegen, wenn sich Politik als Lobbyist für die Einzelinteressen von Schulen versteht. Es ist auch bedenklich, wenn die SK einer Schule, so war es in der Presse zu lesen, beschließt, sich ausschließlich an die Fraktionen zu wenden, die ihre Anliegen vertreten. Das ist Parteipolitik. Ansprechpartner von Schulen in äußeren Schulangelegenheiten sind nicht Parteien, sondern der Schulträger. Sorge bereitet uns auch das aktuelle Klima im Rat. Das war schon einmal besser. Möglicherweise hat der BM auch deswegen die von uns bereits 2009 abgelehnte Klimaanlage für den Ratssaal erneut in den HH eingestellt. Es sollte uns auch ohne Klimaanlage gelingen, den drohenden Klimawandel abzuwenden, so wie es Ihnen, Herr BM, ja auch eindrucksvoll gelungen ist, in ihrer Verwaltung wieder eine von Vertrauen und Respekt geprägte Atmosphäre herzustellen und für tragfähige Arbeitsbeziehungen zu sorgen. Was wäre eine HH-Rede, die nicht auch das Zahlenwerk in den Blick nimmt. Das unterscheidet sich jedoch grundsätzlich nicht von den Zahlenwerken der jüngeren Vergangenheit, insofern gilt weiterhin, was ich in meinen letzten HH- Reden dazu ausgeführt habe. Allerdings verdienen einige wenige Zahlen besondere Aufmerksamkeit. Nach den ersten beiden Veränderungslisten weist der aktuelle HH, gegenüber dem vom BM am 11.10.2010 eingebrachten, ein geringeres Defizit von 1 Mill. € aus.

Nun könnte man auf den Gedanken kommen, der Kämmerer hätte sich vom NRW-Finanzminister beraten lassen, in seiner Kämmerei gesucht und tatsächlich 1 Mill. € gefunden. Mitnichten! Verantwortlich für diese Besserstellung ist eine um 3 Mill. € höhere Veranschlagung der Gewerbesteuer. Insofern stellen dann auch 1 Mill. € weniger Defizit keine Verschlankung des HH dar, wie eine Tageszeitung vermeldete, sondern eine Ausweitung der Ausgaben um 2 Mill. €. Wesentlich dazu beigetragen haben die explosionsartig gestiegenen Heimunterbringungs-kosten, die sich in den letzten 11/2 – 2 Jahren von 800 T € auf 2,4 Mio. € verdreifacht haben. Das ist einerseits bedingt durch gestiegene Fallzahlen, sprachen wir vor wenigen Monaten noch von 28 Fällen, haben wir es nun mit einem Anstieg auf 41 Fälle zu tun. Zu Buche schlägt andererseits aber auch, dass qualitativ immer hochwertigere Hilfen erforderlich werden, die dementsprechend teurer sind. An diesen Zahlen hängt der Fortbestand unseres Jugendamtes. Warten wir den Bericht der GPA ab. Sorgen bereiten ebenfalls die steigenden Zinsen für unsere Kassenkredite in Höhe von 30 Mio. €. Lagen sie vor 2 Monaten noch bei 0,5% haben sie bereits die Marke von 1% erreicht, mit steigender Tendenz. Sollten sie wie schon gehabt, wieder auf 5% steigen, wäre das für die Stadt Werdohl eine Verzehnfachung der aufzubringenden Zinszahlung. Ich muss nicht darauf hinweisen, welches Riesenrisiko für den städt. HH darin besteht, bei den Kassenkrediten den Schwankungen des Marktes ausgesetzt zu sein. Bei der Kreisumlage konnten wir mit Freude eine Senkung um 300 T € zur Kenntnis nehmen. Eine erfreuliche Meldung. Bei näherer Betrachtung erfährt unsere Freude jedoch schnell einen Dämpfer. Das erforderliche Geld nimmt der Kreis aus seiner Ausgleichsrücklage. Hier ist es jedoch nur buchhalterisch vorhanden, es ist lediglich fiktives Geld, das nicht irgendwo beim Kreis in der Ecke liegt, sondern was durch Kassenkredite finanziert wird, deren Zinsen wir künftig über die Kreisumlage an den Kreis zahlen müssen. Wir haben die kommunalen Steuern trotz unserer desolaten HH-Lage bisher nicht erhöht. Aber es droht Ungemach, rückwirkend schon für die 2. Hälfte des Jahres 2010. Der Gesetzgeber hat eine Anhebung des fiktiven Hebesatzes um 20 Punkte für die Grundsteuer B beschlossen. Der Landtag wird darüber im Mai beraten. Würde der Rat nun seinerseits auf eine Erhöhung seines Hebesatzes verzichten, würde uns dieser Verzicht als steuerliche Einnahme zugerechnet und im Rahmen des GFG von den Schlüsselzuweisungen abgezogen. Wir könnten demnach noch in diesem Jahr gezwungen sein, unsere Bürger mit einer höheren Grundsteuer zu belasten. Eine Ausweitung von Straßenreinigung und Winterdienst würde zwangsläufig zu einer weiteren Erhöhung dieser Grundsteuer führen. Dieser Umstand sollte bei der Bearbeitung des CDU-Antrags zum Winterdienst mit bedacht werden. Der Gemeindeanteil der Einkommenssteuer ist eine wichtige städt. Einnahmequelle. Seine Höhe ist ein wichtiger Indikator für die Wirtschaftskraft einer Stadt. Alle 3 Jahre wird er überprüft und den veränderten Gegebenheiten angepasst. Werdohl hat dabei in den letzten Jahren regelmäßig verloren. 2012 ist es wieder so weit. Stellen wir uns auf weitere Verluste ein. Trotzdem! Wir bleiben heiter, irgendwie!